Biodiversität: Grundlage des Lebens

Was haben das menschliche Wohlbefinden und die Würmer in unseren Gärten miteinander zu tun? Wie steht es um die Vielfalt der Arten und Lebensräume in der Welt – und in der Schweiz? Und welche Rolle spielt dabei der Siedlungsraum? Ein Überblick.

Vogelgesang macht glücklich

Unsere Gesundheit und Biodiversität – also eine vielfältige Natur mit artenreichen Lebensräumen – hängen eng zusammen. Die Forschung zeigt, dass der Kontakt mit der Natur erheblich zur Lebensqualität der Menschen beiträgt, auch in Siedlungsgebieten: Hier können wir uns frei bewegen, Zeit mit Familie und Freunden verbringen und uns erholen.

 

Menschen, die sich häufig in naturnahen Gärten, vielfältigen Wohnumgebungen oder Parkanlagen aufhalten, sind beispielsweise weniger gestresst und müde, leiden weniger unter Angst oder Depressionen, haben weniger Probleme mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und verfügen über eine verbesserte Immunabwehr. Eine Untersuchung aus Schweden zeigte ausserdem, dass vielfältiger Vogelgesang in städtischen Grünflächen zu einem positiven Befinden beiträgt. Vereinfacht gesagt: Vielfältiges Vogelgezwitscher macht uns glücklich. Eine Untersuchung aus Kanada zeigte, dass naturnahe Schulhausumgebungen mit vielen verschiedenen Baumarten sich positiv auf die schulische Leistung der Kinder auswirkten.

 

Dies sind nur einige der erstaunlichen Resultate von Studien zu den Zusammenhängen von Biodiversität und Gesundheit. Wir haben also ein ureigenes Interesse, uns mit Biodiversität zu beschäftigen – und damit, wie wir sie schützen und fördern können. 

Mehr als Artenvielfalt

Was aber versteht man unter Biodiversität? Und wie ist sie entstanden? Biodiversität ist das Ergebnis der Entwicklung des Lebens, die sich in rund 3,5 Milliarden Jahren Erdgeschichte vollzogen hat. Oft wird Biodiversität mit Artenvielfalt gleichgesetzt, sie bedeutet aber noch mehr. Erstens meint Biodiversität die Anzahl der Arten, die in einer Region leben, sowie deren Wechselbeziehungen untereinander und mit der Umwelt. Zweitens umfasst sie die Vielfalt der Lebensräume, in denen die Arten leben. Und drittens geht es auch um die genetische Vielfalt innerhalb der Arten: Eine vielfältige Genetik ist eine notwendige Grundlage für Arten, damit sie auf sich ändernde Umweltbedingungen oder auf Krankheiten flexibel reagieren können.

 

Alle drei Ebenen der Biodiversität – Arten, Lebensräume und Gene – sind für das Leben auf der Erde von zentraler Bedeutung. Und damit auch für die Menschen, ihr Wohlergehen und ihre Gesundheit. Saubere Luft und sauberes Wasser, Früchte und Gemüse, erholsame Stunden an einem schattigen Platz im Garten, aber auch natürliche Wirkstoffe in Arzneimitteln oder Naturfasern für Kleider: All dies wäre ohne Biodiversität nicht möglich.

56'000 Arten in der Schweiz

Weltweit sind derzeit etwa 1,8 Millionen Tier-, Pflanzen- und Pilzarten beschrieben. Man geht aber davon aus, dass viel mehr Arten auf der Erde leben: Ein grosser Schatz wartet noch darauf, entdeckt zu werden. ...mehr lesen...

In der Schweiz kennt man rund 56’000 Arten (ohne Urtierchen, Blaualgen und Bakterien). 70 Prozent davon sind Tierarten: insgesamt rund 40’000 Arten, darunter 100 Säugetier-, 400 Vogel- und 16’000 Insektenarten, zudem 24’000 Kleinlebewesen wie Würmer, Bärtierchen, Spinnentiere und Weichtiere, beispielsweise Schnecken. 20 Prozent aller Arten in der Schweiz gehören zu den Pilzen und Flechten (rund 11’200 Arten); 10 Prozent sind Algen-, Moos- und Gefässpflanzenarten (rund 5’600 Arten).

Zentrale Ökosysteme

Zu den artenreichsten Lebensräumen weltweit gehören Korallenriffe, die Tiefsee oder Regenwälder. In der Schweiz sind Auengebiete sowie Feucht- und Trockenwiesen besonders bedeutsam. ...mehr lesen...

Sie alle werden jedoch von den Böden übertroffen: Einer neuen Studie zufolge sind sie die artenreichsten Ökosysteme der Welt. Zwei Drittel der weltweit vorkommenden Arten leben im Boden; intakte Böden bilden die Basis für alle anderen Lebensräume. Daher ist ein sorgsamer Umgang mit ihnen entscheidend, auch in der Schweiz. Entsprechend wichtig ist es, Böden im Naturschutz viel stärker zu berücksichtigen. Auch im Garten gilt: Der Boden ist keine tote Materie, sondern voller Leben – ein Hort von Pilzen, Würmern und Kleinstlebewesen, die gesundes Pflanzenwachstum überhaupt erst möglich machen.

Verluste auf allen Ebenen

Der Biodiversität in der Schweiz geht es nicht gut. Dies hält das Bundesamt für Umwelt (BAFU) in seinem detaillierten Bericht zum Zustand der Biodiversität in der Schweiz 2023 fest. Rund die Hälfte der Lebensräume und ein Drittel der Arten sind bedroht; bei den Vögeln, deren Bestände im Gegensatz zu anderen Artengruppen sehr gut bekannt sind, sind es sogar 40 Prozent. Damit steht die Schweiz auch international schlecht da. ...mehr lesen...

Mit dem Rückgang der Artenvielfalt leiden die genetische Vielfalt und die ökologische Qualität der Lebensräume. Trotz aller Anstrengungen der letzten 30 Jahre, Natur und Artenvielfalt zu schützen, halten die Verluste auf allen Ebenen der Biodiversität an. Am stärksten betroffen sind Feuchtgebiete, Moore und Habitate im Landwirtschaftsland, beispielsweise artenreiche Trockenwiesen.


Im Siedlungsraum schränken verschiedene Faktoren die Biodiversität ein: Bodenversiegelung mit wasserundurchlässigen Belägen wie Asphalt oder Beton, Schadstoffeinträge, Lichtemissionen, Pestizide sowie die intensive Pflege und monotone Gestaltung von Privatgärten und öffentlichen Freiräumen. Zwar wurden in den letzten 20 Jahren mit Unterstützung der Behörden zahlreiche Grünräume aufgewertet oder neu angelegt – gleichzeitig sind jedoch viele Grünflächen verschwunden. Als Folge der dichteren Bebauung, aber auch des Trends zu vermeintlich pflegeleichten Plätzen und Gärten (Stichwort «Schottergärten») nahm der Versiegelungsgrad im Siedlungsgebiet weiter zu: Er beträgt heute rund 60 Prozent.

«30×30»: noch weit entfernt vom Ziel

Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (kurz: Biodiversitätskonvention) ist ein 1993 in Kraft getretenes internationales Umweltabkommen, dem auch die Schweiz angehört. Im Frühling 2020 einigten sich die Vertragsparteien der Biodiversitätskonvention auf einen neuen globalen Rahmen. Sie formulierten 23 Ziele, die bis zum Jahr 2030 zu erreichen sind. Eines der geforderten Ziele lautet «30×30»: Mindestens 30 Prozent der Landes- und Meeresfläche der Erde sollen bis 2030 geschützt sein – beziehungsweise prioritär der Biodiversitätsförderung dienen. ...mehr lesen...

Was bedeutet dies für die Schweiz? Die Berechnungsgrundlagen und die Definition von geschützten Gebieten sind zwar nicht einheitlich festgelegt. Das BAFU rechnet jedoch mit 13,4 Prozent Naturschutzfläche in der Schweiz (Stand 2022). Damit ist die Schweiz noch weit entfernt vom Ziel, 30 Prozent der Landesfläche für den Erhalt der Biodiversität vorzusehen. Die Biodiversität nimmt ab, und es braucht mehr Flächen und mehr Mittel, um diesen Rückgang zu stoppen. Dabei ist oft kein absoluter Schutz eines Gebiets notwendig: Kulturlandschaften lassen sich schützen, indem sie naturverträglich bewirtschaftet werden.